Einfamilienhaus und moderne Villa (Symbolbild).

Es regt sich weiter Widerstand gegen die neue Grundsteuer. Gerade in Baden-Württemberg gibt es einige Extrem- und viele Einzelfälle. Erwartete Erhöhungen um 200 Prozent sind dort keine Seltenheit. Viele empfinden das als große Ungerechtigkeit.

Elke Massa hat gleich bei der Einreichung ihrer Grundsteuererklärung Einspruch eingelegt. Die 69-Jährige aus Obersulm in Baden-Württemberg will auf keinen Fall hinnehmen, was sie ausgerechnet hat. Für das 848 Quadratmeter große Grundstück mit dem 1990 erbauten Haus werden ab 2025 statt 472 Euro im Jahr voraussichtlich 1244 Euro fällig. Fast das Dreifache. Ein Einzelfall? Massa zählt eine ganze Reihe Bekannter auf, die es wie ihr oder sogar noch schlimmer ergeht.

Besonders ungerecht findet sie, dass Omas Nachkriegshäuschen bei gleicher Grundstücksgröße steuerlich genauso behandelt wird wie die hochmoderne Villa oder der Wohnblock mit 20 Parteien. „Es ist eine Unverschämtheit dieser Generation gegenüber“, stellt Elke Massa klar. „Für mich ist das eine Enteignung durch die Hintertür.“

Für neue Grundsteuer müssen 36 Millionen Grundstücke neu bewertet werden

Die neue Grundsteuer-Berechnung gilt ab 2025. Dafür müssen fast 36 Millionen Grundstücke in Deutschland neu bewertet werden. Das geschieht auf Grundlage von Angaben, die alle Eigentümerinnen und Eigentümer seit dem 1. Juli beim Finanzamt einreichen müssen. Das neue Gesetz ist nötig geworden, weil das alte Grundsteuer-Gesetz verfassungswidrig war.

Die Bundesländer können ein vom Bundesmodell abweichendes Grundsteuergesetz verabschieden. Baden-Württemberg hat von dieser „Öffnungsklausel“ Gebrauch gemacht und sich für ein Bodenrichtwertmodell entschieden. Bei den Bodenrichtwerten handelt es sich um einen von Gutachterausschüssen der Kommunen amtlich festgestellten Wert von Grundstücken in einem bestimmten Gebiet. Gebäude spielen keine Rolle.

„Wie arbeiten die Gutachterausschüsse?“

„Ich bin seit Juli mit unserem Gutachterausschuss in Kontakt“, sagt Elke Massa. „Da erkenne ich überhaupt keinen Sinn am Werk.“ Als nicht nachvollziehbar und vollkommen unverständlich bewertet sie die Bodenrichtwerte in ihrer Gemeinde. „Wir dürfen nicht bauen hinterm Haus, müssen aber zahlen, als wäre es Baugrund.“

Die Rentnerin fragt sich: „Wie arbeiten die Gutachterausschüsse, nach welchen Kriterien kommen diese Bodenwerte zustande?“ Trotz offizieller Anfragen hat sie bis heute keine Antworten darauf bekommen.

Harald Vorbauer aus Straubenhardt bei Pforzheim geht es ähnlich. „Ich hadere mit dem Problem seit August“, berichtet der 72-Jährige. Bei seiner Recherche stellte der Rentner fest, „dass der Gutachterausschuss bei der Bodenrichtwertzonenfestlegung die Grenze des Flächennutzungs- sowie die identisch verlaufende Grenzlinie des 1977 festgelegten Ortsabrundungssatzungsplanes ignoriert und im Bereich unseres Grundstücks in den außerhalb dieser Grenzlinien liegender Grundfläche, also Grünland, willkürlich abgewichen ist.“

Statt 170 Euro künftig 700 Euro Grundsteuer fällig

Die Vorbauers wohnen in einem 1980 erbauten Haus auf einem 14 Meter breiten Grundstück, das „unendlich lang und stark ansteigend ist“, wie er sagt. Früher wurde das Grundstück aus Familienbesitz landwirtschaftlich als Nebenerwerb bewirtschaftet. Statt 170 Euro jährlich werden ihm zufolge über 700 Euro künftig fällig, gut das Vierfache.

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Die Reform für die neue Grundsteuer ist komplex – und fordert in diesem Jahr Eigentümer und Eigentümerinnen. Sie müssen beim Finanzamt einige Daten einreichen. Dabei müssen Sie ganz genau sein und spezielle Fristen beachten. In unserem großen Leitfaden erhalten Sie alle Informationen, die Sie wissen müssen kompakt zusammengefasst.

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Vorbauer sprach deshalb mit dem Vermessungsamt, Gutachterausschuss und Gemeinderat. „Niemand konnte mir bislang Auskunft geben, wieso das so gemacht wurde bei mir.“ Einzig die Grundsteuerstelle beim Finanzamt habe das Problem erkannt, so Vorbauer, konnte aber nur auf den Rechtsbehelf hinweisen, da von ihnen die Werte nicht ermittelt, sondern als Grundlage zur Steuerermittlung benutzt würden.

„Bis dato habe ich meine Grundsteuerwerte noch nicht abgeschickt, sondern habe einen im Verwaltungsrecht versierten Rechtsanwalt konsultiert“, berichtet der 72-Jährige. Seine Rechtsschutzversicherung greift hier jedoch nicht, insofern ist sich Vorbauer nicht sicher, was er in der Sache weiter unternehmen sollte. Sicher ist für ihn nur eines: „Ich bin kein Einzelfall.“

„Hier zeigt sich eines der Grundprobleme der neuen Grundsteuer“

Nachfrage bei Eike Möller, dem Landesvorsitzenden des Bundes der Steuerzahler Baden-Württemberg:

Teilen Sie diese Einschätzung, Herr Möller?

„Hier zeigt sich eines der Grundprobleme der neuen Grundsteuer: Es gibt keine Möglichkeit, gegen die Ermittlung der Bodenrichtwerte Rechtsmittel einzulegen. Man kennt das ja von der Einkommensteuererklärung: Das Finanzamt hat sich verrechnet, der Steuerzahler legt kostenlos Einspruch ein und der Fehler wird korrigiert.

Diese Möglichkeit besteht bei den Bodenrichtwerten nicht. Der Gutachterausschuss ist für die Bodenrichtwerte zuständig. Diese sind allerdings geschätzte Durchschnittswerte. Die Finanzämter müssen diese laut Gesetz übernehmen. Gegen einen falschen Grundsteuerwert können sich die Steuerzahler nur mittels eines Gutachtens wehren, das zudem vom Steuerzahler selbst bezahlt werden muss. Die Hilflosigkeit der Steuerzahler ist daher leider Realität.“

Wie beurteilen Sie die Arbeit der Gutachterausschüsse?  

„Die Arbeit der Gutachterausschüsse variiert sehr stark. Einige Gutachterausschüsse haben versucht, sehr differenziert die Bodenrichtwertzonen zu ziehen, mehrere Bodenrichtwerte für verschiedene Flächenarten als Option vorzugeben und Teilflächen bei Flurstücken einzuführen, sodass ein Grundstück nicht für die gesamte Fläche einen einzigen Bodenrichtwert nutzen muss. Wir stellen aber fest, dass bei vielen Kommunen ein Bodenrichtwert für riesige Gebiete vergeben wurde. Von einer gleichwertigen Behandlung kann hiermit nicht die Rede sein.

Dies ist sicherlich auch zu Teilen dem Zeitdruck geschuldet, unter dem die Gutachterausschüsse standen. Viele Gutachterausschüsse haben sich erst neu zusammengefunden. Von ehemals über 900 Gutachterausschüssen sind es jetzt nur noch unter 200. Gerade für die neu gebildeten Gutachterausschüsse war es schwierig, den vom Land vorgegebenen Zeitplan, alle Werte bis zum 30.6. vorzulegen, einzuhalten.“

Was müsste jetzt dringend verbessert werden?

„Die Fokussierung allein auf den Boden in der Grundsteuer ist bereits falsch und unseres Erachtens verfassungswidrig. Der Bodenrichtwert wurde ursprünglich auch gar nicht für diese Besteuerung ausgelegt. Wenn die Gebäudefläche mitberücksichtigt wird, relativieren sich auch Fehleinschätzungen beim Bodenrichtwert. Noch besser wäre eine wertunabhängige Grundsteuer, dann würde man der ganzen Bewertungsproblematik aus dem Weg gehen.

Akut sollte aber zumindest die Möglichkeit geschaffen werden, dass offensichtlich unzutreffende Bodenrichtwerte im Einspruchsverfahren beim Finanzamt korrigiert werden können. Momentan ist gesetzlich vorgesehen, dass eine Änderung nur gegen Vorlage eines Gutachtens möglich ist, das vom Steuerzahler selbst bezahlt werden muss. Dieses darf auch erst anerkannt werden, wenn die Wertabweichung mehr als 30 Prozent beträgt.“

Was raten Sie Eigentümern, wenn die errechnete künftige Grundsteuer ein Vielfaches des bisherigen beträgt ?

„Zunächst muss der Steuerzahler prüfen, ob der Wert seines Grundstücks um mehr als 30 Prozent vom Bodenrichtwert abweicht. Ist dies der Fall, muss er abschätzen, ob der Weg über das Gutachten für ihn lohnend ist. Das ist umso schwerer zu beurteilen, da ja der Hebesatz der Kommune erst 2025 feststehen wird. Erst dann weiß er, wie hoch die zusätzliche Belastung tatsächlich sein wird und ob sich daher die Investition in ein Gutachten lohnt.

Bei der Abwägung ist auch zu berücksichtigen, dass das Gutachten nur bis zum nächsten Feststellungszeitpunkt gültig ist. Dieser ist bereits in sieben Jahren. Wer diesen Weg nicht beschreiten will, sollte Einspruch gegen den Grundsteuerwertbescheid einlegen mit der Begründung, dass die Verfassungsmäßigkeit der Grundsteuer unklar ist. Außerdem sollte man das ‚Ruhen‘ des Einspruchsverfahrens beantragen.“

Einspruch gegen Grundsteuermessbescheid

Gudrun Feeser-Trunk aus Obersulm hat ihren Grundsteuermessbescheid indes schon bekommen und beim Finanzamt Einspruch dagegen eingereicht. Statt 240 Euro im Jahr soll sie ab 2025 knapp 800 Euro bezahlen, mehr als das Dreifache. Es ist genau der Betrag, den sie und ihre Bekannte Elke Massa zuvor ausgerechnet hatten.

Schildern Sie uns Ihre Erfahrungen mit der neuen Grundsteuer

Die Neuberechnung der Grundsteuer und deren Umsetzung erregt die Gemüter – auch außerhalb Baden-Württembergs. Schreiben Sie der Redaktion unter dem Stichwort/Betreff “Grundsteuer” eine Mail an mein-bericht@focus.de mit Angabe Ihres Namens, Alters sowie Wohnorts und schildern Sie kurz Ihre Erfahrungen im Zusammenhang mit der neuen Grundsteuer. Hat Ihre Eingabe auf Anhieb funktioniert? Haben Sie schon Antwort vom Finanzamt erhalten? Wie viel sollen Sie künftig mehr bezahlen? Oder haben Sie Fragen? Schreiben Sie uns gerne.

Aus dem baden-württembergischen Finanzministerium hatte FOCUS online in ähnlicher Angelegenheit unlängst den Hinweis erhalten, dass Berechnungshilfen im Internet mit alten Hebesätzen nicht seriös seien. Und weiter: „Darüber hinaus kann niemand aktuell sagen, wie hoch die Grundsteuer tatsächlich ab dem Kalenderjahr 2025 ausfällt, da die hierfür benötigten Hebesätze fehlen. Sie müssen 2024 auf Grundlage der neuen Bescheide erstmals von den Kommunen ermittelt werden. Insofern gibt es zum jetzigen Zeitpunkt noch gar keine neuen Grundsteuerwerte.“

Grundsteuer soll für Kommunen aufkommensneutral sein

Die zu zahlende Grundsteuer berechnet sich aus dem Grundsteuermessbetrag mal Hebesatz der Kommune. Für Städte und Gemeinden, die sich neben der Gewerbesteuer durch die Grundsteuer finanzieren, soll die neue Grundsteuer aufkommensneutral sein, also nicht mehr als zuvor in die Kasse spülen. Das heißt, dass bei insgesamt steigenden Bodenrichtwerten die Hebesätze sinken müssten.

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Bei Gudrun Feeser-Trunk beträgt der Grundsteuermessbetrag für ihr Grundstück 211,94 Euro. Der Hebesatz der Gemeinde liegt aktuell bei 375. Die Rechnung lautet also: 211,94 mal 3,75 ist gleich 794,77 Euro. Obersulm müsste also den Hebesatz auf 113 senken, damit Feeser-Trunk nicht mehr zahlen müsste als bislang. Wie wahrscheinlich ist das?

Quelle: focus.de