Ein russischer Frachter im Bosporus: Das Schiff eines sanktionierten russischen Rüstungsunternehmens soll Teil eines Schmuggler-Netzwerks gewesen sein.
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Russland hat Wege gefunden, die massiven westlichen Sanktionen teilweise zu umgehen. Daran beteiligt sind neben anderen sanktionierten Staaten auch Länder wie China, Indien und Türkei.

Die Methoden reichen von einfach Tricks bis hin zu ausgeklügelten Schattengeschäften – die meisten davon sind legal.

Für die westlichen Verbündeten sind die Umgehungen nur schwer nachzuverfolgen. Ein neuer Preisdeckel für russisches Öl könnte zumindest teilweise Abhilfe schaffen.

Nach dem Überfall auf die Ukraine vor knapp einem Jahr ist Russland zu dem meisten sanktionierten Land der Welt geworden. Doch russische Unternehmen und die Regierung um Machthaber Wladimir Putin haben verschiedenste Wege gefunden, die massiven westlichen Sanktionen zu umgehen – und das teilweise ganz legal. Wie kann das sein? Welche Länder unterstützen Russland dabei? Und was unternimmt der Westen dagegen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Welche Sanktionen gibt es gerade gegen Russland?

Die westlichen Verbündeten haben die Importe und Exporte von zahlreichen Waren aus und nach Russland eingeschränkt, darunter Schlüsseltechnologien wie Halbleiter und andere für die Rüstung relevante Produkte. Seit August gilt ein Embargo auf russische Kohle, im Dezember folgt ein Importverbot und ein Preisdeckel für Öl aus Russland.

Außerdem wurden russische Banken vom internationalen Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen und mehr als 1300 Einzelpersonen durch Reiseverbote und eingefrorene Bankkonten sanktioniert. Ziel der massiven Sanktionen ist es, die russische Wirtschaft zu schwächen und die Kosten des Krieges für Russland zu erhöhen.

Wie schafft es Russland, die Sanktionen zu umgehen?

Es gibt verschiedene Schlupflöcher und rechtliche Grauzonen, über die russische Unternehmen und Organisationen die Beschränkungen vermeiden. „Russland baut auf bereits erlernten Methoden auf, um Sanktionen zu umgehen“, sagt die politische Analystin und Russlandexpertin Sarah Pagung. „Sie gründen Offshore-Konten, Scheinfirmen oder eine sanktionierte Person überträgt dem Schulfreund Firmen, die diese im Namen der Person weiterführt.“

„Welche Strategien Russland nutzt, hängt vom wirtschaftlichen Sektor ab“, ergänzt Maria Shagina, Risikoanalystin und Expertin für Sanktionen am International Institute for Strategic Studies. Für den Export von sanktioniertem russischen Öl werden etwa sogenannte Schiff-zu-Schiff Transfers genutzt, bei denen ein russisches Schiff im internationalen Gewässer ein anderes Schiff beispielweise mit Öl belädt. Dort werden die Fässer mit einem neuen Label versehen, das zu einem nicht sanktionierten Staat gehört, und in europäische Häfen weitertransportiert.

Andere legale Möglichkeiten sind zum Beispiel, die Schiffe unter anderer Flagge fahren zu lassen oder das Ortungssystem auszuschalten, um die Aktivitäten schwerer nachvollziehbar zu machen. Zudem soll sich Russlands Machthaber Putin eine geheime Schattenflotte aus mehr als hundert alten Frachtschiffen zusammengestellt haben, um sich der Durchsetzung von Sanktionen wie dem Ölpreisdeckel auf europäischen Frachtern zu entziehen.

In anderen Branchen ist es üblich, Tarnfirmen zu schaffen, um die Drahtzieher hinter den Geschäften zu verstecken und die Transaktionen schlechter verfolgbar zu machen. „Ein Beispiel dafür sind Halbleiter“, sagt Expertin Shagina. „Zum Beispiel in Hong Kong erscheinen plötzlich Unternehmen auf der Bildfläche, die früher nie in diesem Bereich aktiv waren. Das ist schon sehr verdächtig.“

Eine weitere Möglichkeit, sogenannte Parallelimporte: Dabei importiert ein Land, das nicht von Sanktionen betroffen ist, Waren aus der EU und exportiert diese dann nach Russland weiter. Russland hatte diese Methode schon kurz nach dem Überfall auf die Ukraine legalisiert. Im vergangenen Jahr wurden so russischen Angaben zufolge Waren im Wert von 20 Milliarden Dollar importiert, rund ein Sechstel der Gesamtimporte. Vor allem Bauteile für Waffen und Fahrzeuge, aber auch private Konsumgüter wie Smartphones werden so ins Land geschafft.

Welche Länder unterstützen Russland dabei?

Sanktionsexpertin Shagina unterscheidet zwei Arten von Kooperation. Einerseits gebe es Länder wie Iran, Venezuela, Nordkorea und Syrien, die selbst politisch und wirtschaftlich isoliert sind. Diese nutzten ihre eigenen Erfahrungen, um Russland aktiv zu unterstützen. „Länder, die schon von Sanktionen betroffen sind, haben auch ein staatliches Interesse, mit anderen Ländern eine Handelsallianz aufzubauen“, sagt Russlandexpertim Pagung.

Berichten zufolge arbeiten Russland und der Iran an einer gemeinsamen Handelsroute, über die Waren fernab vom Einfluss westlicher Akteure verschickt werden können. „Der Iran ist ein absoluter Experte darin, neue Lieferketten zu schaffen und Strategien zu entwickeln, um westliche Sanktionen zu umgehen“, sagt Shagina.

Auf der anderen Seite stehen der Expertin zufolge Staaten wie China, Indien, Saudi-Arabien und die Türkei, die in das internationalen Wirtschaftssystem eingebunden sind, sich aber nicht an den Sanktionen beteiligen. Stattdessen nutzen sie die Situation aus, um selbst gute Geschäfte mit Russland zu machen.

„Am erfolgreichsten ist Russland damit bisher bei den Staaten im Mittleren Osten, weil die ein bisschen unter dem Radar fliegen“, sagt Shagina. So seien etwa viele russische Oligarchen nach Dubai gezogen, auch immer mehr Scheinfirmen seien dort zu finden. Ähnlich sieht es in der Türkei aus: Die Rohölexporte aus Russland haben sich im vergangenen Jahr verdoppelt. Ein Teil des Öls wird in der Türkei aufbereitet und als türkisches Produkt – ganz legal – nach Europa weiterverkauft.

Außerdem bezieht Russland offenbar europäische Halbleiter über Re-Exporte aus der Türkei und China, weil die Sanktionen einen direkten Handel mit der Europäischen Union (EU) verbieten. „Man sieht einen enormen Anstieg bei diesen Geschäften zwischen China und Russland nach Beginn des Krieges. Wir können also mit hoher Wahrscheinlichkeit vermuten, dass es sich dabei um die Produkte handelt, die Russland nicht anderswo beschaffen kann“, erklärt Expertin Shagina.

Eine Sonderrolle spielen die Staaten der Eurasischen Wirtschaftsunion, zu der neben Russland und Belarus auch Armenien, Kasachstan und Kirgistan gehören. Durch die Zollunion sind die Länder unter anderem zu einer beliebten Quelle für Re-Exporte europäischer Produkte geworden. So ist etwa das Handelsvolumen mit Kirgistan im ersten Halbjahr 2022 um rund 40 Prozent gestiegen, für Kasachstan ist ein Anstieg von 10 Prozent in bis Oktober 2022 zu verzeichnen.

Warum sind diese Aktivitäten so schwer zu verfolgen?

Stichfeste Beweise für die Umgehung von Sanktionen gibt es nur selten. Durch die globalen Lieferketten und die Verschleierungstaktiken sei es oft schwierig auszumachen, welche Waren aus welchem Land kommen und ob es sich bei den Exporten tatsächlich um sanktionierte Waren handelt, erklärt Shagina. „Unternehmen sind nicht wirklich gut darin, ihre Lieferketten komplett nachzuverfolgen und zu ermitteln, wo die Waren landen“

„Teilweise hat das etwas mit Ingoranz zu tun, teilweise ist es aber auch wirklich schwierig zu leisten“, so Shagina weiter. Manche Frachtschiffe änderten beispielweise während der Fahrt ihre Zugehörigkeit, in anderen Fällen seien die Auftraggeber durch Scheinfirmen verschleiert. „Es liegt in der Hand der Unternehmen zu entscheiden, ob sie sich die Mühe machen und das sorgfältig überprüfen.“ Auch Parallelexporte über Drittländer seien nur mithilfe von erheblichen Ressourcen nachverfolgbar.

Auch die eingeschränkte Verfügbarkeit von Daten erschwere die Analyse, ergänzt Expertin Pagung. „Seit Februar schränkt Russland die eigenen Wirtschafts- und Handelsdaten ein. Viele der Daten können wir uns nur über Umwege erschließen. Wir wissen aber das Länder wie China und die Türkei profitieren“, sagt sie.

Warum kooperieren die Länder mit Russland?

Laut Expertin Shagina gibt es eine Kombination aus Gründen, die Länder zur Kooperation mit Russland motiviert. Einerseits interessierten sich viele einfach nicht für das Schicksal der Ukraine oder die Einhaltung der Sanktionen. Für diese Länder sei es eine gute Gelegenheit, günstiges russisches Öl zu kaufen, besonders wenn sie selbst in einer schlechten wirtschaftlichen Lage sind.

Indien habe beispielsweise vor dem Krieg in der Ukraine gar kein Öl aus Russland bezogen, inzwischen seien es 20 bis 25 Prozent der Importe. „Sie nutzen das, um ihre eigenen wirtschaftlichen Probleme zu mildern.“ Für andere Länder wie Saudi-Arabien oder UAE sei das weniger entscheidend. „Da ist sicher die politische Motivation und der Wunsch, das Land für Oligarchen attraktiv zu machen, stärker.“

Was tut der Westen, um die Umgehung von Sanktionen zu verhindern?

Die USA kontrollieren die Einhaltung von Sanktionen unter anderem mithilfe des „Office of Foreign Assets Control“ (OFAC), einer Kontrollbehörde des US-Finanzministeriums. Wenn Drittstaaten oder Einzelpersonen beispielsweise Russland bei der Umgehung unterstützen, kann das OFAC sogenannte Sekundärsanktionen gegen sie verhängen.

Erst kürzlich hat die US-Regierung solche Maßnahmen gegen 22 Personen und Organisationen aus mehreren Ländern ausgesprochen, die mit einem Netzwerk zur Umgehung von Sanktionen in Verbindung stehen sollen. Die Maßnahmen richten sich unter anderem gegen den Waffenhändler Igor Zimenkov aus Zypern. Als Folge der Sanktionen werden in der Regel Vermögenswerte in den USA eingefroren und Geschäfte mit US-Bürgern untersagt.

Der Mechanismen der EU für die Überwachung von Sanktionen seien dagegen deutlich schwächer, sagt Shagina, weil die Zuständigkeiten auf viele Akteure verteilt sind. Besonders Mitgliedsstaaten wie Ungarn und Bulgarien könnten Experten zufolge die Durchsetzung der Maßnahmen erschweren. „Der europäische Rahmen für Sanktionen hilft nur, wenn auch die nationale Umsetzung einheitlich ist. Die EU will diese Koordinierung nun noch besser ausbauen“, sagt Analystin Pagung.

Der Preisdeckel auf russisches Erdöl ist eine der neuesten Ideen der EU und ihrer Partner, den Profit Russlands durch die Umgehung der Sanktionen zu verringern. Das Abkommen sieht vor, dass westliche Reedereien russisches Öl nur dann transportieren können, wenn der Preis pro Barrel unter der festgelegten Obergrenze von aktuell 60 US-Dollar (57 Euro) liegt.

Dadurch wird der Export an Drittstaaten zwar nicht verhindert, aber die russischen Einnahmen aus dem Geschäft gedrückt. Einer Berechnung der finnischen Forschungseinrichtung Centre for Research on Energy and Clean Air (Crea) zufolge kostet der Preisdeckel Russland pro Tag geschätzte 160 Millionen Euro. Auch diese Maßnahme kann Russland allerdings versuchen zu umgehen, zum Beispiel indem das Öl durch Schattenflotten transportiert wird.

Wie effektiv sind die Sanktionen überhaupt noch?

Nach Einschätzung von Expertin Shagina zeigen die Sanktionen dennoch Wirkung. „Wenn es darum geht, Russlands die Finanzierung des Kriegs zunehmend zu erschweren, dann sind wir einigermaßen erfolgreich“, sagt sie. „Wir könnten aber noch effektiver gegen die Umgehung von Sanktionen vorgehen, indem wir zum Beispiel die Überwachung von Handelsgeschäften und die interne Kommunikation verbessern würden.“

Wenn es den westlichen Partnern gelingen würde, die Einhaltung der Sanktioenn besser zu überwachen, würde sich das auch für deren Wirksamkeit auszahlen, sagt Expertin Pagung: „Je mehr Schlupflöcher gefunden werden, desto teurer wird es, für Russland noch an Produkte heranzukommen. Die Produktverfügbarkeit nimmt ab. Und Händler rufen mehr Geld ab, weil sie ein höheres Risiko haben, die fehlenden Produkte zu besorgen.“

Das könne gleichzeitig aber auch ein Risiko sein, erklärt Pagung weiter: „Die wirtschaftliche Verflechtung mit sanktionierten Ländern wird weniger und führt dazu, dass der Einfluss auf diese Länder abnimmt.“ Dadurch könne sich langfristig ein parallels Wirtschaftssystem aus sanktionierten Staaten aufbauen, das zunehmend resilient gegen westliche Sanktionen wäre.

Mit Material der dpa

Quelle: Danke an businessinsider.de