Der NATO-Beitritt von Schweden und Finnland wird einige geopolitische Verschiebungen bringen. Der Grund ist weniger, dass die beiden Länder für sich genommen so wichtig wären, der Grund ist eine geopolitische Machtverschiebung.

Schweden

Schwedens NATO-Beitritt ist nur eine Formalie, denn de facto ist das Land längst inoffizielles NATO-Mitglied. Obwohl Schweden offiziell ein neutrales Land war, gab es schon im Kalten Krieg Absprachen mit der NATO und den USA, dass die US-Luftwaffe im Falle eines Krieges mit dem Ostblock aus Deutschland nach Schweden evakuiert wird. Deutschland wäre, so sahen die Kriegspläne damals aus, schon in den ersten Kriegstagen atomar zerstört worden, weil taktische Atomwaffen sehr schnell zum Einsatz gekommen wären. Daher brauchten die USA Schweden als „Ausweichflugplatz“, zumal der Weg in die Sowjetunion von dort aus kürzer gewesen wäre und man die Sowjetunion von Schweden aus viel leichter hätte bombardieren können.

Als der schwedische Ministerpräsident Olof Palme in den 1980er Jahren von diesem US-treuen Kurs abweichen und eine echte partnerschaftliche Annäherung mit der Sowjetunion unter Gorbatschow angestrebt hat, haben die USA das Projekt sabotiert. Plötzlich tauchten angeblich sowjetische U-Boote vor der schwedischen Küste auf, was Palmes Entspannungskurs torpedierte. Gorbatschow bestritt, dass es sich dabei um sowjetische U-Boote handelte und sagte sogar zu Palme, er könne die U-Boote gerne beschießen. Das jedoch sabotierte das schwedische Militär, das de facto seinem Chef den Befehl verweigerte.

Da Palme sich von seinem politischen Kurs nicht abbringen ließ, geschah, was geschehen musste: Palme wurde auf offener Straße erschossen, der Mord wurde nie aufgeklärt. Danach kehrte Schweden zu seiner unauffälligen, weitgehend US-treuen Politik zurück. Gorbatschow sagte dazu, er sei sicher, dass Palmes Ermordung ein politischer Mord gewesen ist. Dass er die CIA verdächtigt, Palme ausgeschaltet zu haben, sagt er zwar nicht offen, aber er lässt keinen Zweifel daran, wen er verdächtigt.

Heute weiß man mit ziemlicher Sicherheit, dass es sich bei den U-Booten um britische und italienische Mini-U-Boote gehandelt hat und dass die NATO die U-Boote an Schwedens Küsten geschickt hat, um Palmes Kurs zu torpedieren. Darüber gibt es einen interessanten Film von Dirk Pohlmann, den er noch für das ZDF gedreht hat, den ich sehr empfehle.Operation Täuschung -Die Methode Reagan- Doku von Dirk Pohlmann

Die Doku von Pohlmann wurde später vom ZDF verändert, wobei die Hinweise auf das perfide Vorgehen der USA herausgeschnitten wurden. Darüber habe ich berichtet, Details finden Sie hier.

Der NATO-Beitritt Schwedens ändert also de facto nicht viel, Schweden war schon immer eng an die NATO angebunden und als sich die Schweden in den 1980er Jahren „verwählt“ und einen Ministerpräsidenten an die Regierung gebracht haben, der das ändern wollte, wurde seine Politik – sogar vom eigenen Militär – behindert. Als auch das nichts gebracht hat, wurde er eben erschossen.

Finnland

Finnlands NATO-Beitritt hat eine andere Qualität. Finnland hat nach dem Zweiten Weltkrieg auf vollständige Neutralität und gute Beziehungen zu Ost und West gesetzt. Das war einer Gründe für Finnlands Wohlstand, weil der Sowjetunion an guten Beziehungen und dem neutralen Status Finnlands gelegen war, konnte das Land vieles in der Sowjetunion billiger einkaufen. Und als die deutsche Ostpolitik unter Brandt und Schmidt in den 1970er Jahren Früchte zu tragen begann, war Helsinki nicht zufällig der Ort, wo die KSZE gegründet wurde.

Auch in den letzten Jahren waren die Beziehungen zwischen Russland und Finnland weitgehend hervorragend. Nur wenige ausländische Staatschefs haben Putin so oft besucht, wie der finnische Präsident. Allerdings trübte sich das Verhältnis ein wenig ein, nachdem Finnland der EU beigetreten ist, denn damit war Finnland ab 2014 gezwungen, an der zunehmend anti-russischen Politik der EU teilzunehmen und sich den Sanktionen anzuschließen.

Die EU-Mitgliedschaft ist immer die Vorstufe zur NATO-Mitgliedschaft, wie man am Beispiel der osteuropäischen Staaten gesehen hat. Lediglich Finnland und Österreich waren dabei Ausnahmen. Nun dürfte der Druck auf die finnische Regierung aber zu groß geworden sein, denn Finnland ist für die USA aufgrund seiner langen gemeinsamen Grenze mit Russland wichtiger als Österreich.

Die finnische Entscheidung, der NATO beizutreten, ist durchaus überraschend, denn finnische Politiker werden auch nach dieser Entscheidung nicht müde, zu betonen, dass sie sich von Russland nicht bedroht fühlen. Der finnische Präsident sagte auch nach der Verkündung der Entscheidung zum Beispiel:

„Ich glaube nicht, dass sie einen Angriff auf Finnland geplant haben, weder damals noch heute. Aber die Situation hat sich geändert. Europa und die Welt sind nun noch stärker gespalten. Es gibt fast keinen Spielraum für eine Nichtausrichtung.“

Das ist bemerkenswert, denn in den 40 Jahren des Kalten Krieges gab es diesen Spielraum und gerade heute wäre ein neutrales Finnland, das wie im Kalten Krieg die Rolle eines Vermittlers zwischen Ost und West spielen könnte, besonders wichtig. Aber die USA sind an Vermittlern nicht interessiert, wie ihr Widerstand gegen die deutsche Ostpolitik in den 70er Jahren und wie das Beispiel Olof Palme gezeigt haben.

Militärisch ändert sich für Russland zunächst nicht viel, denn die strategisch wichtige Halbinsel Kola liegt ohnehin schon nahe an der Grenze zum NATO-Mitglied Norwegen und die zweitgrößte Stadt St. Petersburg liegt genauso nahe am NATO-Mitglied Estland, wie an Finnland. Und es ist nicht zu erwarten, dass in Finnland sofort US-Basen entstehen werden, allerdings können wir Wetten darauf abschließen, wann die USA anfangen, Druck auf Finnland auszuüben, große Radarstationen nahe seiner Grenze zu Russland aufzubauen.

Der finnische Präsident hat den russischen Präsidenten Putin nach der Entscheidung angerufen und ihm die Entscheidung zu erklären versucht. Putin dürfte das nicht überzeugt haben, wie die Pressemeldungen der beiden Präsidenten zeigen. Allerdings hat das finnische Präsidialamt gemeldet, Putin habe „zurückhaltend“ reagiert. Man hatte wohl deutlichere Worte aus dem Kreml erwartet.

Die traditionell guten Beziehungen zwischen Finnland und Russland dürften sich nun aber im Eiltempo verschlechtern, denn die NATO sieht in Russland einen Feind und diese Sicht wird Finnland nach dem NATO-Beitritt übernehmen müssen.

Putin hat den Finnen schon vor Jahren bei einem Besuch in Helsinki erklärt, was ein NATO-Beitritt ihres Landes bedeuten wird:

„Stellen Sie sich vor, dass Finnland der NATO beitritt. Das würde bedeuten, dass die finnische Armee nicht mehr unabhängig und nicht mehr souverän im vollen Sinne des Wortes wäre, sondern Teil der militärischen Infrastruktur der NATO würde, die über Nacht an den Grenzen der Russischen Föderation auftauchen würde. Wir schätzen und respektieren den neutralen Status Finnlands unbedingt, aber es ist nicht unsere Aufgabe, diese Frage zu entscheiden. Um einen meiner finnischen Freunde zu zitieren, könnte ich sagen, dass die NATO Russland wahrscheinlich gerne bis zum letzten finnischen Soldaten bekämpfen würde. Wollen Sie das? Wir wollen das nicht, aber Sie entscheiden selbst, was Sie wollen.“

Die schwedische Entscheidung, der NATO beizutreten, ist nicht überraschend. Warum allerdings finnische Politiker diese Entscheidung getroffen haben, ist kaum verständlich, zumal sie selbst offen sagen, dass sie sich von Russland nicht bedroht fühlen. Wozu tritt man einem Militärblock bei, wenn man keine Feind hat, sich mit dem Beitritt aber Feinde macht?

Die Antwort auf diese Frage werden wir wohl erst in Jahrzehnten erfahren, wenn die Regierungsakten den Historikern zugänglich gemacht werden.