Haben Sie es schon erlebt, dass der Sponsor die Publikation von unliebsamen Studienresultaten auf einen günstigeren Zeitpunkt verschob, beispielsweise nach den Wahlen? Wurden Sie aufgefordert, bestimmte ungünstige Studienbefunde zu unterdrücken? Gab es Versuche, Sie oder andere Wissenschaftler in ihrem Team zu diskreditieren?
So lauteten sinngemäss drei von insgesamt sieben Fragen, die australische Wissenschaftlerinnen an Berufskollegen in verschiedenen Ländern richteten. Alle befragten Wissenschaftler hatten zwischen 2007 und 2017 Studien zu Themen wie Ernährung, Bewegung, sexuelle Gesundheit, Tabak-, Alkohol- oder Drogenkonsum durchgeführt. Dabei ging es stets um den möglichen Nutzen von Massnahmen zur Krankheitsvorbeugung.
18 Prozent gaben an, dass der Sponsor hineinfunken wollte
Von den 208 angefragten Studienautoren antwortete genau die Hälfte. Ihre Antworten stellen das Bild der «freien Wissenschaft» in Frage: 18 von 98 haben es schon ein- oder mehrmals erlebt, dass unliebsame Studienergebnisse auf die eine oder andere Art unterdrückt werden sollten. Sechs Personen enthielten sich der Stimme.
Bei den US-amerikanischen und europäischen Studien berichtete in der Umfrage jeder dritte der Antwortenden von solchen Erlebnissen – allerdings nie bei Studien, die allein von der Industrie oder von philantropen Non-Profit-Organisationen gesponsert worden waren. Die Einflussnahme kam fast ausschliesslich von Gesundheits- oder regierungsnahen Behörden.
Resultate zurückhalten und abändern
Am häufigsten gab der Sponsor zu verstehen, dass man die Studienergebnisse zurückhalten und nicht veröffentlichen solle. Am zweithäufigsten verlangte der Sponsor, die Schlussfolgerungen aus der Studie so abzuändern, dass sie besser zu seinen Interessen passten.
Je länger die Studie zurücklag, um die es ging, umso freimütiger gaben die Studienautoren Unterdrückungsversuche zu. Ein Unterschied zwischen Studien aus demokratischen und weniger demokratischen Ländern fand sich nicht.
Offen bleibt, wie erfolgreich die Unterdrückungsversuche waren: Wurden sie befolgt oder am Ende doch irgendwie umgangen? Danach wurde nicht gefragt.
«Schaden für die Demokratie»
«Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass staatliche Geldgeber die Forschung zum Wohle der Allgemeinheit behindern», schreiben die Wissenschaftlerinnen, die die aktuelle Umfrage initiiert haben. «Solche Praktiken […] verwehren der Öffentlichkeit den Zugang zu den Ergebnissen steuerfinanzierter Forschung […]»
Wenn dies zu falschen politischen Entscheiden führe, gereiche es nicht nur den Steuerzahlern zum Schaden, schreiben die Initiatorinnen der Umfrage. «Hinzu kommt der Schaden für die Demokratie, wenn solche Perversionen ans Licht kommen.»
Da 104 der 208 Studienautoren nicht reagierten, ist ungewiss, wie das Ergebnis insgesamt ausgefallen wäre. Im besten Fall – wenn sie nie Derartiges erlebt hätten – hätten die Sponsoren bei etwa jeder zehnten der 208 Studien ihre Interessen durchzusetzen versucht. Im schlechtesten Fall – falls alle Nicht-Antwortenden sehr wohl Unterdrückungsversuche erlebt haben und sich nur nicht dazu äussern wollten – hätten die Sponsoren sogar bei fast 60 Prozent der Studien hineingefunkt.
Die Initiantinnen der Umfrage vermuten, dass mehr als 18 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon Druckversuchen seitens der Sponsoren ausgesetzt waren.
Ein Beispiel aus Grossbritannien
Welche Folgen solche Unterdrückungsversuche haben können, zeigt ein Beispiel aus Grossbritannien aus dem Jahr 2014. In Unkenntnis wichtiger Befunde verwarf das dortige Parlament damals einen Minimalpreis für alkoholhaltige Getränke – obwohl Wissenschaftler zuvor herausgefunden hatten, dass ein Minimalpreis den Alkoholkonsum reduzieren würde.
Einer britischen Parlamentarierin zufolge hatte die Regierung Grossbritanniens die Veröffentlichung einer wesentlichen Studie bis zu dem Moment hinausgezögert, an dem der politische Entscheid gegen den Minimalpreis gefällt war. Sie beschuldigte zudem «Public Health England» einen Bericht zum Thema Zucker zurückgehalten zu haben, um die Politik zu stützen.
Ein ehemaliger britischer Richter bemängelte daraufhin die willkürlichen Regeln zur Publikation von Studien, die durch die öffentliche Hand gefördert wurden. In seinem Bericht kam er zum Schluss: «Es entsteht Geisterforschung, die zwar bezahlt, aber nicht aufgezeichnet und veröffentlicht wird, so dass sie in den nationalen Archiven nicht auffindbar ist und nur in den Erinnerungen der Beamten existiert.»
Ähnliche Ergebnisse in Kanada und Australien
Beunruhigend ist, dass dies nicht die erste Umfrage ist, die solche Ergebnisse liefert. In einer australischen Befragung von Gesundheitswissenschaftlern waren 2006 die am häufigsten genannten Unterdrückungsmassnahmen: Die Veröffentlichung verhindern, sie massiv verzögern oder die Aufforderung, den Bericht zu «hübschen». In 87 Prozent der Fälle kamen die Behörden angeblich mit ihren Forderungen durch.
Zwei kanadische Befragungen zeichneten ebenfalls ein ungutes Bild. 2013 bekannte etwa jeder vierte teilnehmende Wissenschaftler, dass er innerhalb der vorangegangenen fünf Jahre aufgefordert worden sei, bestimmte Resultate aus einem Bericht zu tilgen.
Fast 40 Prozent berichteten, dass sie daran gehindert worden seien, Medienanfragen zu beantworten. 2017 waren dies immerhin noch 20 Prozent. Mehr als die Hälfte (von 3’025 Antwortenden) gab vor vier Jahren an, nicht frei über ihre Arbeit sprechen zu können.
Von 25 Prozent der Studien fehlen die Daten
Gegenwärtig weiss die Öffentlichkeit bei etwa jeder vierten Studie, die in der EU oder bei der US-Arzneimittelbehörde FDA registriert ist, nicht, was dabei herauskam – obwohl die Ergebnisse eigentlich binnen eines Jahres nach Studienabschluss bekannt gegeben werden müssten. Doch viele Studienverantwortliche halten sich nicht daran. Studienresultate, die unter Verschluss bleiben, können Patienten, Steuerzahlern und der öffentlichen Gesundheit zum Schaden gereichen. Allein in der EU ist derzeit bei über 3’700, längst abgeschlossenen Studien das Ergebnis noch immer unbekannt. Im Mai forderten 18 Organisationen, die sich für Transparenz in der Medizin einsetzen, die Arzneimittelbehörden auf, säumige Studiensponsoren anzumahnen.