Gäbe es einen George-Orwell-Preis für „Neusprech“, also die Pervertierung von Sprache und Begriffen – der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hätte ihn sich redlich verdient. Unter dem Christdemokraten, der unter Angela Merkel in sein Amt kam, hat sich der Verfassungsschutz von einem Schutz der Verfassung vor ihren Feinden zu einem Schutz der Regierung vor ihren Kritikern – und damit letztlich auch der Verfassung – gewandelt.

Unter Haldenwang wurde als neue verfassungsfeindliche Tendenz ein Begriff eingeführt, der klingt, als ob stamme er aus der DDR: Die „Delegitimierung des Staates“. Das, was der Verfassungsschutz jetzt als solche verfolgt, ist in vielen Fällen nichts anderes als das, was jede Kritik ausmacht: Die Kritik an der Regierung und ihren Behörden. Unter Haldenwang wurde der Verfassungsschutz zum Konkurrenzschutz der Regierung. Unter Haldenwang wurden aufrichtige Demokraten, die sich gegen die Corona-Maßnahmen aussprachen und gegen diese protestierten, als Verfassungsfeinde verleumdet.

Jetzt setzt der gelernte Jurist mit der Bürstenfrisur noch eins drauf: Während die bürgerliche Mitte, die Kritik an Rotgrün übt, von ihm in die extremistische Ecke gestellt wird, erklärte er nun, die Klima-Extremisten, die mit ihren kriminellen Aktionen Mitbürger nötigen, seien keine Extremisten. Laut dem öffentlich-rechtlichen SWR sagte der Mann, unter dem der Verfassungsschutz auf Abwege geriet, die man früher nicht für möglich gehalten hätte, bei einem „Demokratie-Forum“ auf dem Hambacher Schloss,  die Klimaaktivisten der Gruppe „Letzte Generation“  seien eine „spezielle Gruppe, die auch Straftaten begehe, aber das Begehen von Straftaten macht diese Gruppierung jetzt nicht extremistisch“.

Nochmal: Friedliche Bürger, die für ihre Freiheit auf die Straße gehen und die Regierung gewaltfrei kritisieren, sind Extremisten. Klimakleber, die Gewalttaten begehen und die Mitbürger terrorisieren, sind keine Extremisten für die Institution, die unsere Verfassung einmal vor Extremisten schützen sollte. Und die nun diese hoffähig macht.

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Was Haldenwang weiter ausführt, ist abenteuerlich und mit Logik nicht mehr nachzuvollziehen. Extremistisch seien Gruppen immer dann, sagte er, „wenn der Staat, die Gesellschaft, die freiheitlich demokratische Grundordnung infrage gestellt wird“. Und weiter: „Und genau das tun die Leute ja eigentlich nicht.“ Wie bitte? Es gibt zahlreiche Aussagen von Klima-Extremisten, die sinngemäß dahin gehen, dass mit demokratischen Methoden eine Bekämpfung des Klimawandels nicht möglich sei.

Allen voran die „deutsche Greta“, die Reemtsma-Erbin Luisa Neubauer. „Es kann keine intakte Demokratie geben, wenn wir von Notstand zu Notstand schlittern in eine Welt, in der das Klima so unkontrollierbar wird, dass wir keine Möglichkeit haben hier mitzuhalten“, sagte sie bei „Markus Lanz“ im ZDF. Natürlich wurde der Satz von ihrer Fan-Gruppe in den großen Medien sofort relativiert. Und auch der Verfassungsschutz-Chef stellt sich taub.

Die „Letzte Generation“ sage doch, so Haldenwang im SWR, im Grunde nach nur: „He, Regierung, ihr habt so lange geschlafen, ihr müsst jetzt endlich mal was tun«, sagte Haldenwang weiter: „Also, anders kann man eigentlich gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert, wenn man die Funktionsträger zum Handeln auffordert.“ Der Mann, der mit rechtsextremen Fake-Profilen in den sozialen Netzwerken „Hass und Hetze“ produzieren lässt, die er dann selbst lautstark „bekämpft“, erklärt die Gewalttäter damit zu Muster-Demokraten.

‘Kein Beobachtungsobjekt für den Verfassungsschutz‘

Das klingt wie Hohn – vor allem wenn man bedenkt, dass etwa „Querdenker“ oder die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Die Klimakleber seien anders als diese nicht gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und seien deswegen „kein Beobachtungsobjekt für den Verfassungsschutz“, behauptete Haldenwang auf dem „Demokratie-Forum“ auf dem Hambacher Schloss.

Der Mann, der eigentlich oberster Verfassungsschützer sein sollte, stellt sich damit auch gegen die eigene Partei – um sich seinen Posten zu sichern unter der Ampel? Zuletzt hatte die Union härtere Strafen gegen Klimakleber bzw. deren Blockaden gefordert. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt begründete die Forderung nach höheren Strafen damit, dass man einer „weiteren Radikalisierung in Teilen dieser Klimabewegung entgegenwirken“ müsse. Er sprach von der möglichen Entstehung „einer Klima-RAF“.

Das Ausmaß an Zynismus und Umkehrung von Fakten, das Haldenwang an den Tag legt, ist eine Schande für einen demokratischen Rechtsstaat und eigentlich typisch für autoritäre Staaten. Eine Sache – und schlimm genug – ist es, opportunistisch Demokratiefeinde im Auftrag der Regierung zu schonen und so zu tun, als sei das Begehen von Straftaten zur Durchsetzung von politischen Zielen kein Extremismus. Eine andere Sache ist es, diejenigen, die unser System umwälzen wollen und die freiheitlich-demokratische Grundordnung mit Füßen bzw. Klebe-Händen treten, die zu Gewalt greifen, zu Muster-Demokraten zu erklären. Und parallel etwa rechtsextreme Fake-Profile zu betreiben. Man kann nur hoffen, dass nicht erst Historiker eine „Vergangenheitsbewältigung“ bewerkstelligen. Sondern dass es zeitnah zu einer politischen und auch juristischen Aufarbeitung einer derartigen Pervertierung demokratischer Grundbegriffe und unserer Verfassung kommt.

Quelle: reitschuster.de