von Thomas Oysmüller

Eine schwarzer Tag für Österreichs immerwährende Neutralität. Selenski hatte seinen Auftritt vor dem österreichischen Parlament. Protest dagegen fand vor und im Hohen Haus statt. 

Nach mehr als einem Jahr hat man es unter der Führung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka endlich geschafft: Wolodymyr Selenski hatte seinen Auftritt im österreichischen Parlament. Damit fehlen ihm nur noch die Parlamente in Bulgarien und Ungarn, dann hätte er in jedem Hohen Haus in der EU auftreten dürfen. Trotz der österreichischen Neutralität bekam Selenski als oberster Vertreter einer Kriegspartei nun in Wien seine Bühne – wenn auch „nur“ online zugeschaltet.

Zwar ist die Stimme der immerwährenden Neutralität leise, sie ruht aber nicht. Trotz des undankbaren Termins von 8 Uhr morgens an einem Wochentag fanden sich über 100 Personen vor dem Parlament ein um gegen den Auftritt zu protestieren. Denn Selenski verachtet Österreichs Neutralität, und somit auch jene Politiker, die den Auftritt feierten. Ende Dezember hatte Selenski im ukrainischen Parlament gesagt„Wir haben dazu beigetragen, dass Europa und der größte Teil der Welt das Gefühl haben, dass Neutralität jetzt – pardon – unmoralisch ist.“

In meiner kurzen Rede am Donnerstag vor dem Parlament habe ich auf diese Stelle hingewiesen. Denn damit wirft er auch jenen Österreichern, die sich für die Erhaltung der Neutralität einsetzen, „unmoralisches“ Verhalten vor. Mehr noch: Wer für Waffenstillstand und Diplomatie eintritt – wie die Demonstranten vor dem Parlament, dürften für Selenski Feinde seiner Ukraine sein. Die Redner der Kundgebung, die vom „Sozialen Bündnis für Frieden und Neutralität“ organisiert wurden, forderten aber eine Erneuerung der österreichischen Neutralität und übten scharfe Kritik an der NATO. Zudem verlangt man von der Politik, ein klares Nein zur Ausbildung ukrainischer Soldaten in Österreich auszudrücken.

Auch innerhalb des Parlaments zeigte sich eine deutliche Abneigung gegenüber der Veranstaltung. Die FPÖ hatte ihren Protest zuvor bereits angekündigt und verließ geschlossen den Saal, bevor es zur Übertragung der Rede gekommen war. So blieben auf den Bänken der FPÖ nur Tafeln mit der Aufschrift „Platz für Frieden“ zurück.

Aber auch in der SPÖ fehlten die Mandatare mehrheitlich. 22 der 40 Abgeordneten blieben der Rede des „NATO-Marionette“ (O-Ton des Friedensaktivisten Peter Weish vor dem Parlament) fern. Dabei glückte wohl auch Pamela Rendi-Wagner (zufällig oder nicht) ihre politische Sternstunde: Aufgrund einer Erkrankung, wie die SPÖ nachträglich erklärte, war sie ebenfalls nicht vor Ort gewesen.

Zudem waren einige Abgeordnete, die eigentlich traditionell eher als USA- und NATO-kritisch gelten, wie etwa Christoph Matznetter, im Haus. Ein deutlicher Ausdruck des Zustands der SPÖ. Obwohl die Mehrheit der Abgeordneten wohl gegen den Auftritt waren, trat keine Kritik an die Öffentlichkeit. Vor einem Jahr hatte sich die SPÖ noch entschieden gegen einen Selenski-Auftritt ausgesprochen.

Doch es zeigte noch etwas: Die stabile transatlantische Achse und die eigentliche Koalition in geopolitischen Fragen im Parlament besteht aus ÖVP-Grüne-NEOS. Grüne und NEOS trommelten nach der Veranstaltung unverzüglich gegen FPÖ und SPÖ – während sich die ÖVP dann etwas zurückhält. Die Rede von Selenski (traditionell beendet mit dem Nazispruch „Slava Ukraini“) wurde dagegen kaum mehr thematisiert.

Helmut Brandstätter, außenpolitischer Sprecher der NEOS, ging via Twitter auch die Demonstranten vor dem Parlament an. Seine Chefin, Beate Meinl-Reisinger, war im Sommer 2022 zum Bilderberger-Treffen eingeladen gewesen.

Das führte dann auch noch zu einem Schlagabtausch mit dem Philosophen Ortwin Rosner, der ebenfalls bei der Demo anwesend war und zurückfotografiert hatte:

Selenski hatte jedenfalls seinen Auftritt. Und auch wenn dieser im Ton weit weniger fordernd als üblich war, ist es doch ein trauriger Tag für Österreicher immerwährende Neutralität.

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