Blinder Aktionismus auf der Zielgeraden

Von reitschuster.de

Die unter dem völlig falschen Versprechen, eine Übertragung des Virus verhindern oder wenigstens dessen Ausbreitung eindämmen zu können, im März eingeführte sektorale Impfpflicht läuft zum Jahresende aus. Eine Verlängerung dieser Regelung, die in einigen Bereichen und Regionen zu einem massiven Exodus aus den betroffenen Berufen geführt hat, ist derzeit weder geplant noch zu rechtfertigen. Als Garantie, dass Krankenschwestern und Altenpfleger ab dem 1. Januar 2023 wieder selbst über ihren Körper und ihre Gesundheit entscheiden dürfen, sollte man das aber nicht verstehen. Es wäre wahrlich nicht das erste Mal, dass unsere Politiker in Berlin evidenzbefreite Entscheidungen treffen, nur um ihr Narrativ aufrechtzuerhalten. „Die werden sich ihre Zahlen im Spätjahr schon wieder herbeitesten“, lautet eine diesbezüglich oft zu hörende Befürchtung.

Und vielleicht wissen einige Gesundheitsämter in der Tat auch schon etwas mehr, als öffentlich bekannt ist. Wie sonst ist es zu erklären, dass im Rhein-Kreis Neuss (NRW) insgesamt 163 ungeimpfte Mitarbeiter in Pflegeeinrichtungen Post aus dem Landratsamt bekommen haben? In den Schreiben wurde den Empfängern die zunächst bis zum Jahresende befristete Freistellung mitgeteilt, ohne Anspruch auf Lohnfortzahlung und Sachbezüge. Und das sechs Monate nach Einführung der sektoralen Impfpflicht und – Stand heute – nur wenige Wochen vor ihrem Auslaufen. Was denken sich Beamte, die solche Bescheide verschicken?

Noch unverständlicher wirkt die Aktion vor dem Hintergrund, dass selbst NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) im Juli einräumen musste, dass Ansteckungen durch die Impfung nicht ausgeschlossen werden können und die einrichtungsbezogene Impfpflicht daher nicht das „Nonplusultra“ sei. Schon damals war diese Erkenntnis alles andere als neu, aber für Politiker galt derart offenes Aussprechen dieser unbequemen Wahrheit doch noch als Tabu. Und dann stellt das Kreisgesundheitsamt Neuss 163 dringend benötigten Fachkräften den Stuhl vor die Tür – ganz einfach, weil man es kann – und nimmt damit billigend in Kauf, dass diese dem Gesundheitswesen dauerhaft verlorengehen.

Jurist verweist auf unklare Rechtslage

Das Portal „RP Online“ hatte zuerst über die Massenfreistellungen im Rhein-Kreis Neuss berichtet und bei dieser Gelegenheit auch den Anwalt Markus Jansen zu Wort kommen lassen. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass die Rechtslage in Bezug auf das Aussprechen von Betretungs- und Tätigkeitsverboten für Ungeimpfte im Gesundheitswesen nur auf den ersten Blick ein klarer Fall zu sein scheint. Zwar habe das Landesarbeitsgericht Hessen entschieden, dass Ungeimpfte keinen Anspruch auf Beschäftigung in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder ähnlichen Einrichtungen hätten, sagte Jansen. Ob aber eine unentgeltliche Freistellung zulässig ist, wie in Neuss geschehen, habe das Gericht damals nicht entschieden.

Neben der rechtlich noch offenen Frage bezüglich einer möglichen Lohnfortzahlung nach einer „impfstatusbedingten“ Freistellung gab und gibt es für Mitarbeiter im Gesundheitswesen aber noch weitere Möglichkeiten, dem Impfzwang zu entgehen und dabei finanziell zumindest etwas abgepolstert zu werden. Wer nicht auf Anhieb eine Beschäftigung in einer anderen Branche findet, kann seinem Arbeitgeber kündigen, ohne dabei zwangsläufig eine Sperrfrist beim Anspruch auf Arbeitslosengeld zu riskieren. Ein Sprecher der Arbeitsagentur Mönchengladbach bestätigte dem Bericht zufolge, dass in jedem Einzelfall geprüft werden müsse, ob „ein wichtiger Grund für die Kündigung vorgetragen“ werden kann. „Die Ablehnung einer Impfung kann einen solchen Grund darstellen, solange eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht nicht eingeführt ist“, wird Andreas Speen zitiert.

Tätigkeitsverbote in letzter Minute werfen Fragen auf

Laut Auskunft des Gesundheitsamtes wurden den Behörden im Rhein-Kreis Neuss nach Einführung der sektoralen Impfpflicht im März 2022 von den Einrichtungen insgesamt 461 Ungeimpfte gemeldet. Man habe damals noch auf unmittelbare Betretungs- und Tätigkeitsverbote verzichtet, weil man zunächst noch Stellungnahmen von den betroffenen Arbeitgebern und -nehmern einholen wollte. Nach der Prüfung der eingereichten Unterlagen, etwa Atteste oder Anträge auf Ausnahmebewilligungen, habe man den Ungeimpften in einem persönlichen Schreiben die Freistellung bzw. Kündigung als mögliche Konsequenz angedroht und diesen die Gelegenheit zu einer zusätzlichen Stellungnahme eingeräumt. „Das hat das Verfahren zeitlich aufwändiger gemacht, den Betroffenen aber die Chance eröffnet, ein Tätigkeitsverbot noch abzuwenden“, versucht sich Kreissprecher Reinhold Jung in einer Erklärung.

„Zeitlich aufwändiger“ heißt in diesem Fall mehr als sechs Monate. In diesem Zeitraum sind dem Vernehmen nach 49 Ausnahmegenehmigungen wegen Impfunfähigkeit oder Unabkömmlichkeit erteilt worden, 74 weitere bisher ungeimpfte Pfleger haben dem Druck nachgegeben und sich doch noch impfen lassen. Übriggeblieben seien schließlich 163 Personen, die von diesem Angebot keinen Gebrauch gemacht haben und die deshalb jetzt freigestellt wurden. Über das Schicksal der verbleibenden 175 Ungeimpften, die im März 2022 noch gemeldet worden waren, werden in dem Bericht keine Angaben gemacht, so dass die Vermutung naheliegt, dass diese von sich aus gekündigt haben und inzwischen einer anderen Arbeit nachgehen.

Auch wenn man beim Gesundheitsamt in Neuss den Eindruck zu erwecken versucht, dass man den Ungeimpften mehrere Brücken gebaut habe, hinterlässt die Sache einen bitteren Beigeschmack. Warum hat man diese Mitarbeiter mehr als sechs Monate zumindest geduldet und wirft sie jetzt kurz vor dem Ablaufen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht doch noch raus? Geht es darum, ein politisches und/oder ideologisches Zeichen zu setzen? Verschließt man bei den Behörden im Rhein-Kreis Neuss ganz bewusst die Augen davor, dass täglich immer mehr gute Gründe auftauchen, auf die Impfung zu verzichten? Ist es blinder Gehorsam gegenüber dem „Jetzt-sind-die-Anderen-dran“-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU)? Fragen über Fragen, auf die es keine plausiblen Antworten gibt.

Quelle: reitschuster.de