von Dr. med. Gerd Reuther

In Vorträgen zum Thema, was für ein langes und gesundes Leben wichtig wäre, fragte ich früher die Zuhörer, wer denn glaube, früher als seine Eltern zu sterben. Es rührte sich regelmäßig keine Hand im Saal.i Inzwischen würden wohl viele Hände nach oben gehen. Mit der Epidemie plötzlicher Todesfälle in jungen Jahren sind selbst optimistische Best-Ager nervös geworden. Die aktuellen Statistiken vermelden überall in den Industrieländern, dass die Lebenserwartung sinkt. Im deutschen Bundesland Thüringen um 1,6 Jahre für Jungen und 1,2 Jahre für Mädchen!ii

Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Schulmedizin im Glanz einer scheinbar unaufhaltsamen Lebensverlängerung gesonnt. Nicht demographische Effekte durch das Massensterben des vorangegangenen Krieges und die darauffolgende lange Friedenszeit seien die Ursachen für höhere Lebensalter. Nein! Der Zugewinn an Lebensjahren sei den Ärzten mit ihren Operationen und der Therapiechemie zu danken. 40% der geschenkten Lebensjahre wären neuen Medikamenten der Pharmaindustrie geschuldet, wurde unverfroren behauptet.iii

Nun handelt es sich aber bei der „Berechnung“ von Lebenserwartungen um spekulative Zukunftsprognosen, die vor allem mit den Anteilen der Altersjahrgänge in einer Bevölkerung zu tun haben. Steigt nach einem großen Krieg die Anzahl der Geburten wieder an und sinkt die Sterblichkeit in den Folgejahren, weil viele Männer im Feld geblieben sind, muss die errechnete Lebenserwartung steigen. Wurden durch Krieg und Not dann noch besonders zähe langlebige Individuen selektiert, werden diese auch besonders alt und täuschen eine für alle geltende Lebensverlängerung vor. Kommt es zu einer Einwanderung junger Menschen, steigt die rechnerische Lebenserwartung, ohne dass sich das Leben der Alten verlängert.

Es war und ist abwegig, aus den Prognosen der Lebenserwartung auf einen Nutzen der Medizin zu schließen. Ohnehin ist die in den Medien kolportierte Lebenserwartung der Statistikämter immer diejenige der Neugeborenen. Diese hat aber nie gestimmt, da bis zur Erfüllung der Prognose ca. 80 Jahre vergehen, in denen viel passiert und die Sterberate nicht konstant bleibt. Wer überhaupt eine Prognose haben will, die zutreffen könnte, muss schon die Berechnung für 65-jährige heranziehen, weil der verbleibende Zeitraum von 12-15 Jahren weniger Unwägbarkeiten enthält.

Eine unbestechliche und daher in der öffentlichen Diskussion geflissentlich übersehene Zahl für die Wirkung von Medizin ist dagegen die jährliche Sterblichkeit nach Statista.

Diese belegt über 7 Nachkriegsjahrzehnte, dass konstant jedes Jahr zwischen 1 und 1,26% der Bevölkerung gestorben sind. Wenn sich gleichzeitig die sogenannten Gesundheitsausgaben in Deutschland auf weit über 1 Milliarde pro Tag(!) mehr als verdreihundertfacht haben, hätte die Sterblichkeit sinken müssen. Dies war aber nicht der Fall. Medizin kann trotz maximalem Aufwand in den Industrieländern nicht belegen, dass sie Beerdigungen verhindert hätte.

Es ist aber noch schlimmer. Da die alten Jahrgänge in den letzten Jahrzehnten höhere Lebensalter erreicht haben, hätte die Sterblichkeitsquote eigentlich sinken müssen. Da dies aber nicht geschah, müssen die Gesundheitsbemühungen der Medizin schon vor Corona kontraproduktiv gewesen sein.

Die Schlussfolgerung des Arztes Johann Christian Ehrmann (1749-1827), dass „alle Mittel, die für besondere Lebensverlängerung erfunden, angepriesen, verkauft oder noch als Geheimnis aufbewahrt werden, das Gepräge der Dummheit, des Stolzes, des Eigennutzes, oder des Betrugs haben“ gilt uneingeschränkt weiter.iv

Referenzen

i https://www.youtube.com/watch?v=I0mjFdOfAbM

ii https://statistik.thueringen.de/presse/2022/pr_177_22.pdf

iii Lichtenberg FR: The Impact of new drug launches on longevity; evidence from longitudinal disease-level data from 53 countries, 1982-2001. International Journal of Health Care Finance and Economics 2005; 5:47–73

iv Ehrmann JC: Psychologische Fragmente zur Macrobiotic oder Kunst sein Leben zu verlängern. Frankfurt 1797

Bild von sarcifilippo auf Pixabay

Quelle: tkp.at