„Antikorruptions-Ikone“ jagt die EU-Kommissionspräsidentin

Von Kai Rebmann

Ursula von der Leyen gibt sich gerne als Alleinherrscherin der EU. Dabei legte nicht zuletzt das legendär gewordene „Sofagate“ im April 2021 nahe, dass die Kommissionspräsidentin hinter dem Präsidenten des Europäischen Rates intern nur die protokollarische Nummer zwei ist. Bei einem Staatsbesuch in der Türkei durfte nur Charles Michel zusammen mit Gastgeber Recep Tayyip Erdogan auf das offizielle Bild, von der Leyen musste zusammen mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu auf einem weiter entfernt stehenden Sofa Platz nehmen. Dieser Vorfall hatte das Ego der CDU-Politikerin mit den Allmachtsfantasien damals sichtbar angegriffen.

Wie um sich selbst und allen anderen zu beweisen, dass sie das alleinige Sagen in der EU hat, zog Ursula von der Leyen in der Folge den milliardenschweren Pfizer-Deal quasi im Alleingang durch. Demokratische Kontrollinstanzen wurden entweder ausgehebelt oder gar nicht erst in die Gespräche mit dem Pharmakonzern eingebunden. Wesentliche Teile der später zwischen der EU und Pfizer geschlossenen Vereinbarung über die Lieferung von mindestens 1,8 Milliarden Impfdosen wurden zwischen von der Leyen und Pfizer-CEO Albert Bourla ausgehandelt.

Beide Seiten setzten dabei offenbar auf SMS als bevorzugten Weg der Kommunikation. Im Sommer 2021 erdreistete sich die EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly, bei der Kommissionpräsidentin nachzufragen, was denn in den Kurznachrichten dringestanden habe, die sie mit Bourla ausgetauscht habe. Von der Leyen teilte daraufhin mit, dass „belanglose“ SMS nicht archiviert würden und man daher nichts mehr dazu sagen könne. Und auch gegenüber dem EU-Rechnungshof wurde die Herausgabe angeforderter Unterlagen zu dem Pfizer-Deal im September noch hartnäckig verweigert. Die Beamten bezeichneten dieses Verhalten als „sehr ungewöhnlich“ und wollen so etwas eigenen Angaben zufolge „noch nie erlebt“ haben.

Wird eine Staatsanwältin aus Rumänien zum Stolperstein?

Das dubiose Versteckspiel von Albert Bourla und Ursula von der Leyen hat jetzt die Chefin der Europäischen Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen. Laura Kövesi gilt in Rumänien als lebende Legende der Strafverfolgung, nachdem sie in ihrer Heimat unter anderem hochrangigen Mafia-Bossen den Garaus gemacht hatte. Die Deutsche Welle bezeichnete die Juristin zudem als „Antikorruptions-Ikone“. Es könnte also eng werden für die EU-Kommissionspräsidentin und den Pfizer-Chef. Einer Aussage vor dem Ausschuss des EU-Parlaments konnte Bourla sich noch entziehen, indem er kurzerhand seine Stellvertreterin Janine Small schickte. Laura Kövesi wird sich von solchen Spielereien wohl kaum beeindrucken lassen.

Zu betonen ist an dieser Stelle, dass Ursula von der Leyen mit heutigem Stand noch nicht unmittelbarer Gegenstand von Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft ist. Aber schon alleine die Tatsache, dass sich Laura Kövesi des Falls angenommen hat und sich anschickt, Licht in das Dunkel rund um den Pfizer-Deal zu bringen, lässt im Umfeld der CDU-Politikerin offenbar sämtliche Alarmglocken schrillen. Denn sicher ist: Sollte Anklage gegen die EU-Kommissionspräsidentin erhoben werden, wäre von der Leyen in diesem Amt wohl kaum noch zu halten. Die Zeitschrift „Politico“ berichtet von „großer Nervosität“, die in der Chefetage in Brüssel ob der beginnenden Ermittlungen ausgebrochen sei.

Extrem hohes öffentliches Interesse

Darüber, wie weit diese konkret fortgeschritten sind, hüllt sich die Strafverfolgungsbehörde in Schweigen. „Zu diesem Zeitpunkt werden keine weiteren Details veröffentlicht“, heißt es in einer Pressemitteilung. Dass sich die Europäische Staatsanwaltschaft mit derartigen Verlautbarungen aber überhaupt zu Wort meldet, hat eher Seltenheitswert. Warum das in diesem Fall aber anders gehandhabt wird, erklärt die Behörde so: „Die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) bestätigt, dass sie eine laufende Untersuchung zum Erwerb von Covid-19-Impfstoffen in der Europäischen Union führt. Diese außergewöhnliche Bestätigung erfolgt wegen des extrem hohen öffentlichen Interesses.“ Wo Ursula von der Leyen und Albert Bourla gerne von „Belanglosigkeiten“ sprechen, sieht die Staatsanwaltschaft also ein „extrem hohes öffentliches Interesse“.

Laura Kövesi trat ihr Amt als Chefin der Europäischen Staatsanwaltschaft am 1. Juni 2021 an. Gegen den Widerstand der EU-Justizminister setzte sich die Rumänin gegen ihre Mitbewerber Andrés Ritter (Deutschland) und Jean-François Bohnert (Frankreich) durch. Mit ihrem konsequenten Kampf gegen Korruption hat sich Kövesi auch in ihrer Heimat nicht nur Freunde gemacht. Mehrere Unternehmen überzogen die Staatsanwältin in den vergangenen Jahren immer wieder mit Korruptionsvorwürfen, um die für höhere Aufgaben zu diskreditieren. Letztendlich erwiesen sich diese Anschuldigungen aber allesamt als haltlos und wurden in den meisten Fällen wieder verworfen, ehe es überhaupt zur Anklage gekommen war. Es handelte sich dabei offensichtlich um politisch motivierte Kampagnen, um Kövesis Ernennung zur Chefin der EU-Staatsanwaltschaft zu verhindern.

Man wäre in Luxemburg, wo die Behörde ihren Sitz hat, wohl gerne unter sich geblieben. Bei einem Deutschen oder einem Franzosen hätte man gewusst, was man bekommt. Mit einer Rumänin hat man die Katze im Sack gekauft, der zudem noch der Ruf einer unerschrockenen Kämpferin gegen Korruption vorauseilt. Und das dürfte so ziemlich das Letzte sein, was man sich bei der EU wünschen kann.

Quelle: reitschuster.de